Bewusstsein · Das, was übrig bleibt
Stell dir vor, du würdest morgen aufwachen, und alles, was dich heute beschreibt, wäre verschwunden.
Kein Name an deiner Tür.
Kein Beruf, der dich benennt.
Keine Nachrichten, in denen dein Gesicht oder deine Stimme auftauchen.
Nur der leere Raum um dich – und das Atmen, das du nicht steuern musst.
Was bliebe dann noch, das du als „dich“ erkennen würdest?
Und würdest du dich darin willkommen fühlen – oder wie ein Gast, der sich im eigenen Haus nicht auskennt?
Vielleicht ist das, was übrig bleibt, schwer zu fassen, weil es so wenig von sich preisgibt.
Es ruft dich nicht beim Namen.
Es tritt nicht vor dich hin, um sich zu erklären.
Es ist eher wie ein Hintergrundlicht, das nie erlischt, aber auch nie fordert, dass du es anschaust.
Manchmal ahnst du es, wenn alles, was dich beschäftigt, für einen Moment in den Hintergrund tritt:
in der Stille vor dem ersten Geräusch am Morgen,
in einem Augenblick, in dem du niemandem etwas beweisen musst,
oder in einer Begegnung, in der niemand etwas von dir will.
Dann spürst du, dass dieser Kern nicht aus Rollen oder Geschichten besteht.
Er ist nicht das, was du leistest, und auch nicht das, was du besitzt.
Er ist nicht einmal an deine Erinnerungen gebunden.
Er ist wie ein Ort ohne Türen, den du nicht betreten musst, weil du nie wirklich draußen warst.
Vielleicht hast du nur den Blick dafür verloren,
weil das Außen so oft lauter geworden ist als das, was innen geschieht.
Und wenn du doch innehältst,
wenn du nicht versuchst, zu greifen oder zu formen,
kannst du diesen Kern wahrnehmen – nicht als etwas Fremdes, das du suchen musst,
sondern als etwas, das dich schon immer getragen hat.
In solchen Momenten wird klar:
Du bist nicht erst vollständig, wenn dich jemand erkennt.
Du bist nicht mehr oder weniger wert, wenn du etwas erreichst oder verlierst.
Du bist nicht die Summe deiner äußeren Beschreibungen.
Du bist auch nicht fertig – du bist im Werden.
Und vielleicht ist genau das die Wahrheit,
die nicht auf Etiketten angewiesen ist.
Es könnte sein, dass das, was am Ende übrig bleibt,
nicht kleiner oder unscheinbarer ist als das, womit du dich heute umgibst –
sondern unendlich vielschichtiger.
Wie ein leiser Strom unter der Oberfläche,
der nicht versiegt,
selbst wenn das Land darüber sich verändert.
Und vielleicht wirst du dann erkennen,
dass dieser Ort ohne Türen nie verschwunden war –
sondern nur darauf gewartet hat, dass du ihn wieder betrittst.
Vielleicht ist das, was übrig bleibt, nicht das Ende – sondern der Anfang von dem, was gemeint war.
