Ich räume meinen Schreibtisch auf und finde ihn in der hintersten Ecke der Schublade: einen altenRadiergummi. Rosa, abgenutzt, mit scharfen Kanten an den Stellen, wo er am meisten gearbeitethat.
Er ist nicht schön anzusehen. Seine Oberfläche ist rissig, verfärbt von Jahren des Gebrauchs. Krümelkleben an ihm fest – Überreste all der Fehler, die er beseitigt hat. Ein Werkzeug, das sein Lebendamit verbracht hat, Dinge ungeschehen zu machen.
Ich nehme ihn in die Hand und spüre seine Rauheit. Wie viele Wörter hat er gelöscht? Wie vielefalsche Linien, schiefe Zahlen, unglückliche Formulierungen? Er hat sie alle stumm ertragen, sie insich aufgenommen, sie zu Krümeln gemacht.
Dabei ist Radieren eine der hoffnungsvollsten Tätigkeiten überhaupt. Es sagt: Das hier ist nichtendgültig. Es kann anders werden. Der Fehler muss nicht bleiben. Es gibt eine zweite Chance, einedritte, so viele, wie nötig sind.
Ich erinnere mich an mich als Kind, wie ich vorsichtig über eine falsche Zahl gerieben habe. DieAngst, ein Loch ins Papier zu reiben. Die Erleichterung, wenn die Stelle sauber wurde. DieMöglichkeit eines Neuanfangs auf demselben Blatt.
Der Radiergummi urteilt nicht über die Fehler, die er beseitigen soll. Ihm ist egal, ob es ein kleinerTippfehler ist oder ein komplett falscher Ansatz. Er macht seine Arbeit, ohne Vorwürfe, ohneSeufzen. Geduldig, gründlich, ohne Erinnerung an das, was war.
Menschen sind schlechte Radiergummis. Wir behalten die Spuren der Fehler, auch wenn wirvergeben. Wir erinnern uns an das Gelöschte, reden darüber, machen es zu einer Geschichte. DerRadiergummi macht einfach sauber und schweigt.
Ich drehe ihn zwischen den Fingern. Seine abgenutzten Ecken erzählen von Tausenden kleinerKorrekturen. Nicht von großen dramatischen Fehlern – von den alltäglichen Ungenauigkeiten, denwinzigen Abweichungen, den kleinen Momenten, in denen die Hand nicht ganz das tat, was derKopf wollte.
Vielleicht ist das seine größte Lektion: dass die meisten Korrekturen im Leben nicht spektakulär seinmüssen. Dass es oft reicht, sanft über etwas zu reiben, bis es verschwindet. Dass Löschen eine Formder Liebe sein kann – Liebe zum Neuanfang, zur zweiten Chance, zur Möglichkeit.
Ich lege ihn zurück in die Schublade, aber nicht mehr in die hinterste Ecke. Näher zur Hand, falls ichihn brauche. Was ich wahrscheinlich werde. Nicht für große Dramen, sondern für die kleinentäglichen Korrekturen, die das Leben leichter machen.
Ein Radiergummi weiß: Die schönste Art zu helfen ist, Spuren zu hinterlassen, indem man welcheverschwinden lässt.
