Manchmal denken wir, Mut müsse laut sein – ein Aufstehen, ein Widerspruch, ein großes Zeichen.
Doch meist beginnt er unscheinbar.
In den kleinen Räumen unseres Alltags, zwischen zwei Herzschlägen, zwischen einer Tür, die sich öffnet und wieder schließt.
Manchmal erzählt uns der Alltag selbst, was Mut bedeutet.
So auch in dieser Geschichte.
Der Aufzug roch nach Metall und nach der Mischung aus Parfum, Kaffee und einem Hauch Nervosität. Max, Sachbearbeiter in einer Versicherung, stand mit den Händen in den Taschen. Die Zahlen über den Türen zählten langsam nach oben.
In der vierten Etage wartete ein Meeting. Seit Tagen trug Max einen Einwand in sich. Kein lautes Wort, kein Widerspruch gegen alles – eher ein kleines Aufmerken, das noch keinen Platz gefunden hatte. Und doch drängte es darauf, ausgesprochen zu werden.
Die Türen glitten zu, ein kurzer Ruck, die Kabine setzte sich in Bewegung. Max starrte auf sein Spiegelbild in der glänzenden Wand. Müde Augen, ein enger Hemdkragen. Kein Held. Nur einer, der gleich entscheiden musste, ob er schweigt oder spricht.
Im dritten Stock stieg eine Kollegin zu, nickte knapp, vertiefte sich ins Handy. Max schwieg.
Die rote Ziffer „4“ leuchtete auf. Gleich würde die Tür aufgehen. Gleich würde er vor der Wahl stehen. Sein Herz klopfte so laut, dass er meinte, die Kollegin müsse es hören.
Ein kurzer Ruck. Die Tür öffnete sich einen Spalt – und blieb einen Atemzug lang stehen. Ein Zwischenraum, fast unmerklich.
Max trat vor. Sein Spiegelbild verschwand. Nur der Spalt, die Schwelle, der Atemzug.
Die Kollegin war schon ausgestiegen. Max holte tief Luft und setzte den Fuß über die Schwelle.
Im Flur war es still. Der Aufzug schloss sich hinter ihm, und für einen Moment hörte er nur das Summen der Lampen.
Ein paar Schritte lagen zwischen ihm und der Tür zum Konferenzraum. Jeder Schritt war gedämpft vom Teppich, als ginge er auf etwas zu, das längst auf ihn wartete.
Die Tür stand da, unscheinbar. Er hob die Hand, legte sie auf die Klinke. Und drückte sie herunter.
Drinnen drehte sich jeder Kopf zu ihm. Der Geruch von Papier und Kaffee hing in der Luft. Max spürte das Rauschen in seinem Kopf, aber er sprach. Seine Stimme war nicht laut, nicht fest. Aber sie war da.
Ein Einwand, der lange verschluckt war, fand seine Stimme.
Die Stille, die darauf folgte, war schwer – und doch leicht zugleich.
Mut ist manchmal nur der Schritt durch eine Tür.
